WILD-MIND-TRAINING: „Fitnesstraining für Herz und Hirn“

Zerozen, die Leere oder Gedankenstille des Zen hautnah zu erleben ist eine wesentliche Zielsetzung des Wild-Mind-Trainings. Dichter und Denker umschreiben den Sinn und Wert der Stille/Leere so:

„Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn…“

                                                                                                   J.W. von Goethe

„Geh ich zeitig in die Leere, komm ich aus der Leere voll. Wenn ich mit dem Nichts verkehre, weiß ich wieder, was ich soll.“

                                                                                                       Bertolt Brecht

„Rückkehr zur Wurzel ist Stille.
Das ist der Weg der Natur.“           
                                                                                                      Lao-tse                                                                                                

Über die Entdeckung der Stille mit Kindern, schreibt Philipp Dessauer in seinem Buch „Naturale Meditation“:

Die Natur

Die Lehrerin einer oberbayrischen Schule machte mit ihren Schülern folgende Entdeckung: Sie ging mit den Kindern auf eine sommerlich blühende Bergwiese. Hier legte man sich ins Gras. Die Lehrerin bat die Kinder, nun einmal kurze Zeit lang ganz still zu sein und die Augen zu schließen. »Jetzt, Kinder, fragt euch, was ihr alles hört!  Die Kinder schlossen ihre Augen.

 Nach einiger Zeit des stillen Verweilens fanden die Kinder immer Neues, was in ihr Ohr kam. Das Rauschen des Windes in den Bäumen und in den Gräsern; der Flug der Insekten, ihr Summen und ihr Surren; Vogel-und andere Tierlaute; von der fernen Landstraße her das Fahren eines Wagens und irgendwo in der Nähe das Brüllen des Viehs auf den Weiden: alles das gehörte zusammen, wie eine harmonische Musik. Dann durften die Kinder die Augen öffnen und sagen, was sie sahen, ohne sich aufzurichten. Und dann kam das Fühlen, Spüren, Tasten und Riechen dran. Der Geruch der Wiese tat sich auf. Es war erstaunlich, was die Kinder alles benennen konnten. Dann sollten die Kinder die Augen wieder schließen und alles, was sie gesehen, gehört und gefühlt hatten, in ihre Gedanken sammeln.

Denn alles gehörte zusammen, alles war genau jetzt da. Diese ganze Welt von Dingen und Lebewesen – diese ganze Natur, und in der Natur der Mensch, das Kind, die Lehrerin, wir.

Was ist die Natur? Die Frage hat die Lehrerin nicht gestellt. Das wäre falsch gewesen in diesem Augenblick. Die Kinder haben gelernt, die Situation zu erfassen und alles, was zu ihr gehört. Sie haben gelernt zu sammeln, alle gegenwärtigen Eindrücke in großer Ruhe bei sich einzulassen und in Freude ihnen zu begegnen. Es hätte natürlich nahegelegen, jetzt mit einem Naturkundeunterricht fortzufahren, und allerlei nützliche Aussagen hätten sich machen lassen.

Bei dieser Art der Sammlung wurde das Urvertrauen der Kinder lebendig. Das Urvertrauen hat eine offene Weite. Es ist nicht ungeduldig, und es fragt nicht: „Was macht ihr damit? Es lässt alles andere vergessen, was von der Sorge festgehalten wird; es freut sich einfach, da zu sein.

Dieses einfache Da-sein, das Bewusstsein des einfachen Daseins, das ist es, was mit der nativen Meditation gegeben ist. In diesem Dasein wird anderes, was da ist, zugleich mit mir gegenwärtig. Vielleicht hat ein erwachsener Leser das Gefühl, hier begänne eine Naturschwärmerei. Wäre es so, dann wäre es wenigstens „kindliche Schwärmerei…

Es ist aber anders. Man bedenke, dass die Kinder keine Geologen, Botaniker, Zoologen sind, sondern hier etwas viel Besseres und Ursprünglicheres finden, nämlich etwas, woraus sich alle Naturwissenschaften später erst ableiten können, auch wenn es der Erwachsene dann nicht mehr weiß. Die Sinne die es erfragt und gesammelt haben, sammelten in Eines hinein, und in Einem wurden die Kinder ihres Daseins inne. Und nun freuten sie sich.

Was taten sie in ihrer Freude? Sie begannen einen Lobpreis, eine Preisung in kindlichen Worten, Zeichen der Freude, dass das eigene Dasein schön ist und dass es, so existierend, wirklich wahr ist. Die Lehrerin schaute auf die Uhr und fragte sich, wieviel Zeit eigentlich vergangen war. Sie wunderte sich über sich selbst. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie „gebraucht.. hatte“, um mit den Kindern einen Augenblick in seiner Fülle zu erleben. Das ist eine Freude gewesen, die von dem sachlichen Einheimsen eines Lernstoffes himmelweit entfernt ist.

„Vergnügungen“ allerdings können „eingeheimst werden, wenn sie genossen werden, aber das hält nicht an. Der Grund des Da-seins liegt nicht hier. Der uhrenlose Augenblick der Stunde auf der Alpenmatte war gesammelte Gegenwart, nährendes Leben geworden. Diese Stunde konnte er-innert werden wie etwas, das sich fortsetzen wird, und nicht so, wie man sich an Gelerntes erinnert.

Noch ein Umstand soll Erwähnung finden. Bei ähnlichen Übungen der Gegenwärtigung hat sich gezeigt, dass die Kinder fähig wurden, miteinander von dem Erfahrenen her zu reden. Nicht so sehr über das Erfahrene selbst, denn dieses lässt sich so nicht einfach in Worte fassen. Aber es waren Verbindungen geknüpft von Naturdingen zum Menschen und von den erfahrenen Menschen zueinander.

Auch hier ist wiederum das Ursprüngliche. Zuerst ist der Mensch keineswegs allein. Das All-ein-sein ist das zweite, wenn es auch immer wieder erfahren wird. Ein gesunder Mensch geht vom ursprünglichen Nicht-allein-sein aus. Dieses ursprüngliche Gemeinsame begegnet in der Sammlung, beginnt hier zu leben.Diese Weise des Innewerdens im Sein mit dem Anderen, diese Gegenwärtigung der Gemeinsamkeit mit Menschen, die ähnliches miteinander erfahren – das ist eine Grundlage des Menschlichen berhaupt, immer neuer Ursprung des humanen Lebens.

Welt und Menschen und der Augenblick ihrer Wirklichkeit sind der Ausgang aller Menschlichkeit und zugleich wiederum der Eingang von all diesem in den Menschen selbst; es ist Geburt und Geburtsstunde.

Wenn der Mensch diese Geburt vergessen hat, muss er ein Unmensch oder ein unglücklicher Mensch werden.

Aus Philipp Dessauer: Die naturale Meditation, München 1961, S. 16 f